Tuesday, 26 May 2009

koreanische Zeitgeschichte

Eigentlich wollte ich etwas ueber die in der letzten Woche voll in Gang gekommene Uni-Festival-Zeit hier in Korea schreiben - praktisch jede Uni veranstaltet ein etwa fuenftaegiges Fest mit einer Reihe an Auffuehrungen, Konzerten, Attraktionen, etc. und natuerlich einer unbeschreiblichen Menge an Bier und Soju (Reisschnaps). Das zumeist herrlich sommerliche Wetter trug sein Uebriges zur allgemeinen Hochstimmung bei und dementsprechend ausgelassen wurde an allen Ecken und Enden des Campus gefeiert. Aber da sich studentische Feierlichkeiten (um die unschoenere aber eher zutreffende Bezeichnung 'Saufgelage' zu vermeiden) wahrscheinlich ueberall auf der Welt in gewisser Weise aehnlich sind, moechte ich aus gegebenem Anlass ueber ein Thema mit etwas mehr Tragweite schreiben (obwohl man auch ueber die Auswirkungen eines zu tiefen Blicks ins Soju-Glas des Langen und Breiten philosophieren koennte).


Am vergangenen Wochenende hat sich der fruehere Praesident von Korea (2003-2008) Roh Moo-hyun selbst das Leben genommen, nachdem vor einigen Monaten ein Korruptionsverfahren gegen ihn und Mitglieder seiner Familie angelaufen ist.

Der Tod des Ex-Praesidenten macht zwei Dinge deutlich, die fest in der koreanischen Gesellschaft verankert sind:
Zum Einen ist das aus der konfuzianischen Tradition stammende Ehrgefuehl fuer die Familie, die Firma, die Partei oder eine andere berufliche oder soziale Institution ein Grund fuer die hohe Selbstmordrate unter (fast ausschliesslich) Maennern in hoehren Positionen. Diskreditierte Politiker, Manager oder auch Professoren und Schauspieler nehmen sich nicht selten das Leben, weil sie ihre 'Ehre verloren' oder 'Schande ueber die Familie' gebracht haben. Dieses Ehrgefuehl, das z.B. auch in Japan eine sehr grosse Rolle spielt, kann von einem beinahe demuetigen Verhalten mancher Studenten gegenueber ihren Professoren bis hin zum Tod durch Ueberarbeiten ('Karoshi', ein aus Japan stammendes Phaenomen) oder zum Selbstmord aufgrund eines 'Gesichtsverlusts' fuehren. Und nicht immer spielt die Rechtmaessigkeit der Anschuldigungen dabei eine Rolle. Im vergangenen Herbst hat sich zum Beispiel eine beruehmte junge Schauspielerin das Leben genommen, nachdem auf einigen Internetseiten die wildesten Geruechte ueber sie in Umlauf gebracht worden waren.
Viele Koreaner geben dem ohnehin unpopulaeren jetzigen Praesidenten Lee eine Mitschuld am Tod von Roh, weil er mit der Revision von Rohs Politik und dem Korruptionsskandal einen politischen Rachefeldzug gegen seinen Vorgaenger gestartet habe. Meine Kenntnisse der koreanischen Innenpolitik sind aeusserst limitiert, also faellt es mir schwer, eine objektive Einschaetzung darueber zu geben. Aber ich habe noch keinen einzigen koreanischen Studenten getroffen, der mit der Vorgehensweise des konservativen Praesidenten Lee voellig einverstanden waere.
Dazu muss man sagen, dass die Kompetenzen des koreanischen Praesidenten viel weitreichender sind als etwa des oesterreichischen; vergleichbar vielleicht mit dem amerikanischen Praesidentenamt. Und Praesident Lee scheut sich nicht diese Macht auch einzusetzen. Am Sonntag, als der Tod des Ex-Praesidenten bekannt wurde, versammelten sich Tausende Menschen in der Naehe der Tempel und alten Palastanlagen in Seoul um Trauerzeremonien abzuhalten. Zugleich war das Polizeiaufgebot enorm (wahrscheinlich aus Angst vor Ausschreitungen oder Demonstrationen gegen den jetzigen Praesidenten) - dutzende Busse brachten Polizisten in voller Aufruhr-Ausruestung zu den friedlich ablaufenden Trauerfeiern und riegelten die Palastanlagen ab, wie mir eine aufgebrachte Studentin am Montag erzaehlte. Darueber hinaus hat der Praesident einen hohen, an italienische Verhaeltnisse erinnernden Einfluss auf die koreanische Medienlandschaft, was vor kurzem einen Freund dazu veranlasste, mich deutlich darauf hinzuweisen, welches 'Schundblattl' ich auf keinen Fall lesen sollte.

Der zweite Punkt ist die anscheinend massive Korruption in hoeheren politischen Ebenen. Jeder Praesident sowie unzaehlige Regierungsmitglieder in den vergangenen dreissig Jahren mussten sich nach Ablauf ihrer Amtszeit (und bei Uebernahme der politischen Opposition) einem Korruptionsprozess stellen. Im Gegensatz zu einigen frueheren Prozessen waren die Anschuldigungen gegen Ex-Praesident Roh jedoch vergleichsweise harmlos und weite Teile der Bevoelkerung sahen darin kein groessers Problem (weil ohnehin normal).
Das Vertrauen der Bevoelkerung in ihre Politiker ist aeusserst gering und die von der jeweils anderen politischen Fraktion aufgebauschten Skandale fuehren zu einer spuerbaren Politikmuedigkeit bis hin zur Resignation vor allem bei juengeren Generationen.

Eine Woche lang werden nun Trauerfeiern fuer den ehemaligen Praesidenten abgehalten und die Ablehnung des jetzigen Praesidenten, der in seiner vorherigen Position als Buergermeister von Seoul sehr gute Arbeit geleistet hatte, wird wohl noch zunehmen.


Abgesehen vom Tod des Ex-Praesidenten, ist zurzeit natuerlich auch Nordkorea ein zentrales Thema in den Medien. Montag Frueh fuehrte das stalinistische Regime anscheinend einen weiteren unterirdischen Atombombentest durch und testete gleichzeitig einige Kurzstreckenraketen. Die Beziehungen zwischen Sued- und Nordkorea haben sich seit dem Amtsantritt von Praesident Lee im vergangenen Jahr und dem Ende der von Praesident Roh initiierten "Sonnenschein-Politik" deutlich verschlechtert. Auch wenn im Grunde niemand an einen weiteren Krieg mit dem Norden glaubt, befinden sich die beiden Koreas formal noch immer im Kriegszustand. Mit dem Unterzeichnen des Waffenstillstandabkommens zwischen der UNO und Nordkorea (Juli 1953) wurde die Teilung Koreas nach der dreijaehrigen Auseinandersetzung mit mehr als vier Millionen Toten zwischen dem von China unterstuetzten Norden und dem von den USA und der UNO unterstuetzten Sueden besiegelt. (genauere Infos z.B. auf wikipedia)
Entlang des 38. Breitengrades wurde eine vier Kilometer breite entmilitarisierte Zone (DMZ) errichtet, die bis heute als am besten bewachte Grenze weltweit gilt. Insgesamt stehen sich an der DMZ etwa eine Million Soldaten gegenueber, die beinahe jeden Zentimeter der Grenze Tag und Nacht im Auge behalten. Insgesamt umfasst die suedkoreanische Armee ca. 650.000 Aktive und 3 Mio. Reservisten (Gesamtbevoelkerung etwa 48 Mio.) im Gegensatz zu 1,2 Mio. Aktiven und 7,7 Mio. Reservisten in Nordkorea (Gesamtbev. etwa 24 Mio). [als Relation: Oesterreich hat 31.000 Aktive und 24.000 Reservisten.]
Das US-Militaer ist weiterhin stark praesent in Suedkorea (rund 28.000 Soldaten) und ueberwacht in Kooperation mit anderen UNO-Truppen die Einhaltung des Waffenstillstands entlang der DMZ.

Auslaendern ist es im Gegensatz zu der koreanischen Bevoelkerung gestattet an einer von US-Einheiten gefuehrten Tour in die DMZ und zu Panmunjeom, wo der Waffenstillstand unterzeichnet wurde, teil zu nehmen. Bereits lange vor Erreichen der entmilitarisierten Zone wird durch die zahlreichen Wachposten, Panzersperren und meterhohen Stacheldrahtzaeune deutlich, dass man sich der Grenze naehert.


Nach einer kurzen Einfuehrung durch einen US-Offizier im Camp Bonifaz, dem am naehesten zur Grenze gelegenen UNO-Stuetzpunkt, faehr man durch einen schwer bewachten Kontrollpunkt in die DMZ. Fast ueberall innerhalb des Grenzgebietes und vor allem in der Naehe der Militaeranlagen ist Fotografieren verboten, deshalb kann ich hier leider nicht mit mehr Anschauungsmaterial dienen.

Einer der interessantesten Punkte der Tour war Panmunjom, eine Ansammlung von mehreren Gebaeuden direkt an der Grenze, in denen der Waffenstillstand ausgehandelt wurde. Im unteren Bild sind die eher unspektakulaeren blauen UNO-Huetten zu sehen, durch die quer in der Mitte die offizielle Grenze verlaeuft. Die hintere Haelfte sowie das Gebaeude im Hintergrund sind bereits nordkoreanisches Gebiet. Im Vordergrund sind zwei patroullierende Soldaten der suedkoreanischen Armee zu sehen.



Nach einigen Minuten tauchte ein nordkoreanischer Soldat auf den Stufen des Gebaeudes auf und beobachtete uns durch einen Feldstecher.



Unser Guide von der US-Armee wies uns mehrmals darauf hin, keine Dummheiten zu machen sowie die uns beobachtenden Nordkoreaner nicht zu provozieren.



Die Unterzeichnung des Waffenstillstands fand in einer der blauen UNO-Huetten statt; in einer ueber zwoelfstuendigen Abschlussverhandlung, waehrend derer keiner der Beteiligten den Tisch verliess (daher auch die Bezeichnnung "water wars").
Ein suedkoreanischer Soldat bewacht den Verhandlungstisch (da die Grenze in der Mitte des Tisches verlaeuft, befand ich mich genau genommen auf nordkoreanischem Territorium als ich das Foto machte).



An einigen Stellen entlang der Grenze hat man einen freien Blick nach Nordkorea und zu einem kleinen Propagandadorf, in dessen Zentrum ein riesiger Flaggenmast steht - die Flagge misst etwa 30m und wiegt ueber 20 Tonnen. Bis vor wenigen Jahren sendete Nordkorea taeglich ueber Lautsprechertuerme Propagandamaterial, das teilweise bis in die noerdlichen Regionen von Seoul zu hoeren war. Heute sind nur noch die Stoersender in Betrieb, die die nordkoreanische Bevoelkerung von jeglichem Radio- oder TV-Signal aus dem Ausland abschotten sollen.



Nach dem Ende der Kampfhandlungen 1953 fand ein Gefangenenaustausch zwischen den beiden Kriegsparteien an einer schmalen Bruecke direkt an der Grenze statt. Die Gefangenen hatten die Wahl, im Land ihrer Gefangennahme zu bleiben oder auf ihre urspruengliche Seite zurueck zu kehren. Hatten sie jedoch einmal die Bruecke ueberschritten, konnten sie nicht mehr zurueck, deshalb der Name "bridge of no return".



Fast in jeder koreanischen Familie gibt es nahe oder entfernte Angehoerige, die im jeweils anderen Teil von Korea wohnen. In den meisten Faellen gibt es seit Kriegsende keinen Kontakt zwischen ihnen. z.B.: Der Bruder des Grossvaters eines meiner koreanischen Freunde hatte sich damals entschieden, in Nordkorea zu bleiben und heute weiss die Familie nicht einmal, ob er noch am Leben ist oder nicht.
Es gibt ein Familienzusammenfuehrungs-Programm zwischen Nord- und Suedkorea, allerdings fanden bisher nur eine Handvoll dieser Zusammenfuehrungen statt und wie mir ein Koreaner berichtete, betraegt die Wartezeit ungefaehr zehn Jahre. Die meisten haben deshalb die Hoffnung bereits aufgegeben ihre Verwandten jemals wieder zu sehen.



So ... ich hoffe, ich konnte einen kleinen Einblick in die koreanische Zeitgeschichte geben und wuensche allen noch einen schoenen Fruehling / Sommerbeginn!

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